Zu urteilen oder zu bewerten, das liegt ganz nah am Menschen. Ich kenne wenig Menschen, die ohne (Vor)-Urteile auskommen. Mich eingeschlossen. Viele Berufe fördern so ein Verhalten. Als Physiotherapeutin bin ich angehalten, Patienten nach medizinischen Kriterien zu bewerten. So etwas kann leicht in den Alltag mit hineingleiten, häufig dort, wo es eher keine Rolle spielen sollte, wie z. B. eine Bewertung einer Situation, die auf den ersten Blick eindeutig erscheint. In diesen Zeiten fällt es schwer unvoreingenommen an eine Sache heranzugehen; dies sollten wir natürlich tun, jedoch machen wir es nicht. Negative Erfahrungen, anerzogene Muster und äußere Beeinflussung lassen uns häufig vorschnell zu einer Meinung langen, die dann nicht selten wie in Stein gemeißelt erst einmal in unseren Köpfen Bestand hat.

Die Geschichte vom Urteilen hat mich sehr nachdenklich gemacht. Wir sind ruck zuck mit einer vorgefertigten Meinung ausgestattet; falls man eines besseren belehrt wird, kann man später immer noch sagen, dass man diese Wendung der Situation nicht hat vorhersagen können.

Aber warum ist das Bewerten so beliebt?

Viel hängt mit dem „sich vergleichen“ und aufwerten zusammen. Bewertet man eine Situation, zeigt man der Welt, man habe Ähnliches schon erlebt und wisse, „wie der Hase läuft“.

Mit anderen Worten:

Man ist schlauer, als alle anderen

Und es schwingt der jämmerliche Versuch „alles im Griff zu haben“ mit; als würde man genau wissen, wie die Geschichte endet. Aber genau das wissen wir oft nicht. Genau wie der alte Mann in der Geschichte sagt:

Wir können nicht wissen, ob es ein Unglück oder ein Segen ist, weil wir nicht die ganze Geschichte kennen.

 

Das Weglassen des Urteilens habe ich mir für das kommende Jahr 2021 fest vorgenommen.